Jalla! Jalla!

Ein Schuss fällt, Sand wird aufgewirbelt. Laut trampelnd bahnt sich ein Dutzend Kamele ihren Weg durch die Wüste, laut keuchend, aber mit einem Willen, der seinesgleichen sucht. Männer stürzen sich auf die Bahn vor einige gut 700 Kilogramm schweren Tiere, die in der Hitze des Gefechts die Orientierung verloren haben und anstatt in Richtung Ziel versuchen, aus der Bahn auszubrechen. Hektisch knallen Ruten an die Seiten der Kamele, doch woher dieses Knallen kommt, erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

Wir befinden uns am Rande der Stadt Al Dhaid im Emirat Sharjah. Sie ist Schauplatz der Qualifikation für die große Kamelrennmeisterschaft Ende März in Abu Dhabi, wo hunderte Kamele für ihre Besitzer um Ruhm und Ehre laufen. Es gilt, vor allem die Gegner aus Quatar und Saudi Arabien zu schlagen. Die Männer, die mit ihren Kamelen oft lange Anreisen durch die Wüste in Kauf nehmen, kommen aus allen Schichten. Viele stammen aus alten Beduinen-Familien, auch Scheichs und einfache Beamte finden Gefallen an den Rennen.

Dubais kleiner Bruder
Al Dhaid liegt 60km von Sharjah-Stadt entfernt, einem aufstrebenden Zentrum für Tourismus, Kultur und Wirtschaft. Das Emirat mit rund einer Million Einwohnern grenzt direkt an Dubai, und unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von seinem berühmten Nachbarn: Die drei künstlich angelegten Lagunen zeichnen ein romantisches Bild einer Stadt, die von modernen Wolkenkratzern und scheinbar alten Moscheen geprägt ist. Geländewägen stauen sich auf dem Weg nach Dubai, wo viele ihren Arbeitsplatz haben aber Sharjah-Stadt der billigeren Mieten wegen dem großen Bruder vorziehen.


Neunzig Prozent der arbeitenden Bevölkerung stammt aus Indien, Pakistan, Ägypten, den Philippinen und dem restlichen Asiatischen Raum, auch einige Europäer und Amerikaner haben sich unters Volk gemischt. Die Einheimischen sind leicht zu erkennen: Die Damen tragen mit viel Eleganz die schwarzen, traditionellen Trachten, namens Abaya, während die Herren auf die helleren Modelle zurückgreifen, ein weißes Tuch auf ihren Häuptern thronend. Oft sieht man es in rot-weißen Mustern, ein Trend der von den Saudis oder den als modische Vorbilder geltenden Söhnen des regierenden Sultans bin Mohamed aufgegriffen wird. Die Stadt ist schnelllebig, modern und funkelnd, sogar die Gotteshäuser im islamischen Stil sind meist nicht älter als zehn bis zwanzig Jahre.


Letzte Taktik-Techtelmechtel
Al-Dhaid bietet mit seiner Rennbahn einen gänzlich anderen und vor allem authentischeren Anblick. Die Stadt besteht aus niedrigen Lehmbauten und steht mitten in der Wüste; Obststände und Teppichhändler säumen die Straßen auf dem Weg zur Kamelrennbahn. Als wir sie erreichen, sehen wir eine kleine Tribüne an der Ziellinie. Zuschauer tummeln sich keine darauf. Erst am acht Kilometer entfernt gelegenen Start spielt sich ein Spektakel ab. Hunderte Kamele warten geduldig auf ihren Einsatz, Trainer und Bedienstete wuseln hektisch herum und sprechen mit ihren Herren letzte Taktiken ab.

Mohammad ist mit seinen zwei Söhnen angereist, um sich für das große Festival zu qualifizieren. Einige ausländische Bedienstete stehen ihm zur Seite, die auch als Trainer für die Tiere fungieren. Insgesamt besitzt er 28 Kamele, drei davon sollen ihm in Abu Dhabi Ruhm und Ehre bringen. Um das Preisgeld von 500.000 Dirham (ca. 100.000 Euro) geht es ihm nicht. Die mitgebrachten Exemplare sind Experten für die längere Strecke, die Sprint-Kamele hat er zu Hause gelassen.


Er hofft, dass seine Tiere einmal so viel Prestige bringen werden wie die berühmtesten Rennkamele „Emaar“ oder „Hamlolal“, die mehr als 200.000 Euro wert sind. Finanziert werden die Rennen von lokalen Scheichs oder größeren Konzernen, die den enormen Werbewert einer Rennveranstaltung erkannt haben. Oft stellen Autohersteller ihre Geländewägen als Preis zur Verfügung. Die Rennen haben vor allem für die alten Beduinenfamilien hohen Wert, da Kamele als Transportmittel seit den 60ern obsolet geworden sind. In einer dicken Mappe führt Mohammad die Zertifikate mit sich, die Gesundheit und Stammbaum belegen, auch negative Dopingtests befinden sich darunter. Nach zweijährigem Training ist eines der Kamele das erste Mal bei einem Rennen dabei.

Seine Kamele sind mit kleinen Robotern auf dem Rücken ausgestattet, die in verspielten Farben gekleidet werden und Ruten in ihren künstlichen Ärmchen halten. Sie ersetzen die Kinderjockeys, die bis 2002 aus Somalia oder Indien angekarrt wurden, um mit ihrem geringen Gewicht die Kamele zu Höchstleistungen anzutreiben. Die Vereinigten Arabischen Emirate waren die ersten, die das Verbot von Kinderjockeys durchsetzten. Es hatte jahrelang Vorwürfe der internationalen Presse gehagelt, Menschenhandel und Kinderarbeit zu fördern. Bemannte Rennen sieht man nur noch selten auf Rennstrecken wie in Nad Al Sheba in Dubai, wo vor allem leichte, zierliche Jugendliche als Jockeys eingesetzt werden, ähnlich wie im Pferderennsport.


Wieder wird es staubig und neblig im Startraum, der Startschuss für die nächste Gruppe ist gefallen. Auf beiden Seiten der Bahn wirbelt Sand auf, als die zahlreichen Autos starten um den Rennverlauf zu verfolgen. Auf der rechten Seite chauffieren Fahrer die Trainer, die mit ihren Fernbedienungen aus den Fenstern der SUVs hängen und laut „Jalla! Jalla!“ („Geh’ma! Geh’ma!”) rufen. Auf der linken Seite fahren Zuschauer, Kamelbesitzer und ein Übertragungswagen samt Kommentator, der die Teilnehmer per Autoradio über den aktuellen Führenden auf dem Laufenden hält. Auf dem Dach sitzt ein vermummter Kameramann, der mit dem ruckelnden Untergrund und den ihm entgegen peitschenden Sandwolken kämpft, um die Qualifikation für die lokalen Fernsehsender zu dokumentieren. Die Kamele rasen mit bis zu 67 km/h durch die Wüste, und zum letzten Kilometer hin spürt man die Aufregung der mitfahrenden Beobachter: Immer mehr hängen sich aus ihren Wägen und schreien und hupen, was das Zeug hält, um ihre Kamele anzutreiben. Setzt sich eines der Kamele ab, fangen die Ruten der Verfolger wie wild zu schlagen an, was nicht immer effektiv ist, da die Roboter durch den unregelmäßigen Galopp oft verrutschten und ins Leere schlagen.

Tatsächlich ist die Roboter-Technik der Roboter noch nicht ausgereift. Sie stammt aus der Schweiz, und einige Einheimische scheinen noch Probleme mit den Neuerungen zu haben. Doch der Trend geht wie bei so Vielem in Richtung Westen. Besonders auffällig ist der krampfhafte Versuch, die Wüste zu begrünen. Verkehrsinseln werden mit mäßigem Erfolg mit Rasenanlagen, Begonien und Stiefmütterchen ausgestattet.

Auch die riesige Universitätsstadt ist komplett begrünt, dutzende Gärtner bewässern die sieben Quadratkilometer große Anlage tagtäglich, doch selbst im Winter bei verhältnismäßig kühlen Temperaturen von 15-30°C ist das Vorhaben nicht einfach und alles sieht verdorrt und trocken aus.

Winter bedeutet für die Emiratis auch Rennsaison. Ab April klettern die Temperaturen auf bis zu 50°C, was auch dem härtesten Kamel die letzte Kraft für ein Rennen rauben würde. Selbst bei den momentan milden Temperaturen wirken die Kamele am Ziel ausgelaugt und matt.

Mohammad und seine Diener nehmen die Kamele stolz in Empfang und bringen sie zum Abkühlen in ein extra Gehege. Zufrieden lächelnd steckt er seinem Kamel ein Stückchen Zuckerrohr zu. „Kamele sind edle Tiere, sie haben viel Würde und sind ein Symbol für Schönheit, Ausdauer und Genügsamkeit“, sagt Mohammad, seinem Tier auf die Schulter klopfend. Und sie machen mit ihrer Schnelligkeit verdammt viel Spaß.

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